Gastronationalismus: Kulinarik als Spiegel nationaler Identität und diplomatisches Instrument
Bearbeitet von: Olga Samsonova
Die Konzeption des Gastronationalismus betrachtet kulinarische Praktiken als direktes Abbild der nationalen Identität und als wirksames Instrument der Diplomatie, das das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Nation stärkt. Essen fungiert hierbei als ein nicht-konfrontatives kulturelles Kennzeichen, was insbesondere für Immigranten in neuen gesellschaftlichen Umfeldern von Bedeutung ist. In Metropolen wie Madrid manifestiert sich die integrative Kraft der Gastronomie, wo die Zunahme internationaler Restaurants eine Kultur des Teilens anstelle von Wettbewerb fördert, was im Gegensatz zu antagonistischen Formen des Nationalismus steht.
Die UNESCO unterstreicht den Wert nationaler kulinarischer Traditionen seit der Annahme des Übereinkommens zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes im Jahr 2003 in Paris durch deren Klassifizierung als Kulturgut. Parallel dazu gewinnt die Gastrodiplomatie, die gezielte Nutzung der nationalen Küche zur Beeinflussung der globalen Wahrnehmung, zunehmend an strategischer Bedeutung. Ein historisches Beispiel hierfür ist Portugal, dessen offizielle diplomatische Menüs vor Jahrzehnten von der französischen Küche auf einheimische Gerichte umgestellt wurden, um die eigene kulinarische Identität zu projizieren.
Thailand implementierte staatlich geförderte Programme erfolgreich zur internationalen Etablierung seiner Küche, was zu einer Verdoppelung der thailändischen Restaurants weltweit und einem signifikanten Anstieg der Tourismuszahlen führte. Die Begriffe „kulinarische Diplomatie“ und „Gastrodiplomatie“ wurden seit den frühen 2000er Jahren von den Gelehrten Paul Rockower und Sam Chapple-Sokol popularisiert, wobei Chapple-Sokol 2013 betonte, dass Essen zur Schaffung interkulturellen Verständnisses eingesetzt wird.
Obwohl die kulinarische Identität grundsätzlich der Homogenisierung widersteht, versuchen bestimmte rechtsextreme politische Strömungen, gastronomische Bräuche zur Vertiefung gesellschaftlicher Spaltungen zu instrumentalisieren. In Italien strebt die Regierung Meloni beispielsweise einen UNESCO-Status für die italienische Küche an, was von Kritikern als Verteidigungsversuch einer vermeintlich überlegenen nationalen Identität gegen die Bedrohung durch Globalisierung und Migration interpretiert wird. Diese Politisierung steht im Kontrast zur grundlegenden Funktion der Küche als Medium für Dialog und Verbindung.
Die kulinarische Praxis dient als identitätsstiftendes Element, das kulturelle Distanzen überbrückt und Interaktionen erleichtert, sei es beim privaten Abendessen oder beim Staatsbankett. Auf lokaler Ebene zeigen digitale Initiativen wie der Leitfaden „Alles ist in Madrid“ die Förderung des lokalen Konsums, um die Reichweite und Nutzung lokaler Gastronomiebetriebe zu steigern und die lokale Wirtschaft zu beleben. Die thailändische Regierung setzte im September 2023 zehn Maßnahmen zur Ankurbelung des Tourismus um, darunter die Bewerbung des Landes als Reiseziel und die Entwicklung von Kulturfestivals, um das nationale Image zu stärken. Die kulinarische Kultur manifestiert sich somit auf verschiedenen Ebenen als mächtiges Werkzeug zur Identitätsbildung und zur internationalen Positionierung.
Quellen
EL PAÍS
EL PAÍS
El Diario de Madrid
Agencia Estatal de Investigación
ResearchGate
IGCAT
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