Bahnbrechende Studie enthüllt gravierende Verzerrungen in den Referenzkarten des menschlichen Genoms

Bearbeitet von: Katia Cherviakova

Eine kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichte Untersuchung hat kritische biologische „blinde Flecken“ in den fundamentalen Karten des menschlichen Genoms aufgedeckt, welche die Grundlage der modernen biomedizinischen Forschung bilden. Das Kernproblem liegt in einer historisch bedingten, stark überproportionalen Repräsentation genetischer Daten, die überwiegend von Individuen europäischer Abstammung stammen. Diese Schieflage führt dazu, dass die DNA-Sequenzen eines erheblichen Teils der Weltbevölkerung unzureichend erfasst und interpretiert werden.

Die Forschungsgruppe, angeführt von Experten des Barcelona Supercomputing Center (BSC) und des Centre for Genomic Regulation (CRG), konnte nachweisen, dass die Voreingenommenheit in den gängigen Genomkatalogen dazu führt, dass Tausende spezifischer RNA-Transkripte, die charakteristisch für Populationen aus Afrika, Asien und Amerika sind, schlicht ignoriert werden. Pau Clavell-Revelles, der Erstautor der Studie, betonte, dass die aktuell verwendete Genkarte die korrekte Deutung genetischer Variationen fundamental verzerrt. Roderic Guigó, leitender Koautor vom CRG, bestätigte diesen Befund: Die überwältigende Mehrheit der Referenzsequenzen stammt von Europäern, wodurch Gene oder Transkripte, die für nicht-europäische Gruppen einzigartig sind, unter den Tisch fallen.

Dieses strukturelle Manko in den Daten verbirgt lebenswichtige Informationen bezüglich individueller Krankheitsrisiken. Die Studie führt hierzu konkrete Beispiele an: Die bekannten Unterschiede in der therapeutischen Wirksamkeit von Bronchodilatatoren bei Kindern afrikanischer Herkunft oder die unerwünschten Reaktionen asiatischer Patienten auf Standard-Antikoagulanzien könnten durch diese Datenlücken erklärt werden. Um diese verborgene Biologie sichtbar zu machen, setzte das Team die Langläufer-RNA-Sequenzierung ein und analysierte Blutproben von 43 Spendern aus acht unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen.

Die Analyse förderte 41.000 potenzielle Transkripte zutage, die in den offiziellen Datenbanken fehlten. Davon erwiesen sich 2.267 als exklusiv für eine einzige Population – vorwiegend afrikanisch, asiatisch oder amerikanisch – und waren der Wissenschaft bisher unbekannt. Darüber hinaus scheinen 773 Transkripte aus bisher nicht identifizierten Genregionen zu stammen, wobei bis zu 476 neue Gene identifiziert werden konnten. Marta Melé, eine weitere leitende Autorin vom BSC, hob hervor, dass viele dieser neuen, ethnisch abhängigen Transkripte in Genen lokalisiert sind, die mit Autoimmunerkrankungen, Asthma und metabolischen Merkmalen in Verbindung stehen.

Ein spezifisches Beispiel, das die Analyse untermauerte, betrifft eine Variante des Gens SUB1, welche für die DNA-Reparatur von entscheidender Bedeutung ist. Diese Variante kommt bei Personen peruanischer Abstammung vor, wird aber von den aktuellen Referenzkarten vollständig ignoriert. Um diese gravierende Lücke zu schließen, fordern die Autoren eine globale Bündelung der Kräfte zur Erstellung eines menschlichen Pan-Transkriptoms – eines umfassenden Katalogs sämtlicher RNA-Moleküle, wie sie in allen menschlichen Populationen vorkommen. Bei der Verarbeitung der über zehn Terabyte an generierten Daten spielte der Supercomputer MareNostrum 5, der am BSC angesiedelt ist, eine tragende Rolle.

Professor Guigó fasste abschließend zusammen, dass diese Entdeckung wohl nur die „Spitze des Eisbergs“ darstellt, da die Untersuchung auf die Analyse von Blutzellen erwachsener Individuen beschränkt war. Er sieht darin eine Verlangsamung der Fortschritte in der personalisierten Medizin. Die Notwendigkeit, die genomischen Daten diverser zu gestalten, wird somit unterstrichen, um die Präzision medizinischer Behandlungsansätze zukünftig gewährleisten zu können.

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Quellen

  • Barcelona Institute of Science and Technology

  • PubMed

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