Ein visionäres Vorhaben zur Vernetzung der Europäischen Union durch ein umfassendes Hochgeschwindigkeitsbahnnetz wurde auf der 8. Infrastruktur- und Transportkonferenz (ITC2025) in Athen vorgestellt. Die Gemeinschaft der Europäischen Bahnen und Infrastrukturunternehmen (CER) hat einen kühnen Plan vorgelegt, der vorsieht, alle Hauptstädte und bedeutenden Städte der EU mit Zügen zu verbinden, die Geschwindigkeiten zwischen 250 und 350 km/h erreichen. Dieses ambitionierte Projekt, das eine Länge von über 49.400 Kilometern umfassen soll, wird voraussichtlich im Oktober 2025 von der Europäischen Kommission zur Annahme vorgelegt.
Alberto Mazzola, Geschäftsführer der CER, betonte bei der Vorstellung in Athen die strategische Bedeutung dieses Vorhabens. Er hob hervor, dass die Europäische Kommission Eisenbahnen als Schlüssel für einen umweltfreundlicheren und widerstandsfähigeren Transportsektor priorisiert. Die geplante Annahme des Gesamtplans im Oktober 2025 markiert einen entscheidenden Schritt zur Realisierung eines Netzes, das nicht nur die Hauptstädte, sondern auch Ballungsräume mit mindestens 250.000 Einwohnern, wie beispielsweise Thessaloniki, einbeziehen soll. Die Vision ist es, dass zukünftig 50 Prozent der Europäer Langstreckenreisen mit Hochgeschwindigkeitszügen und weitere 20 Prozent mit konventionellen Zügen zurücklegen, wodurch die Bahn zum Rückgrat des europäischen Verkehrs werden würde.
Die Notwendigkeit einer solchen Infrastruktur wird durch die aktuelle Situation unterstrichen. Mazzola wies auf ein signifikantes Defizit in der europäischen Bahninfrastruktur hin, das sogar unter dem Niveau der Nachkriegszeit liegt. Dieses Defizit behindert die volle Auslastung der Züge und bremst private wie öffentliche Initiativen. Die Umsetzung des Hochgeschwindigkeitsnetzes ist auf einen Zeitraum von 20 Jahren angesetzt und erfordert geschätzte Investitionen von 546 Milliarden Euro. Die Finanzierung soll durch europäische und nationale Programme sowie durch Mittel aus der europäischen Verteidigungsausgaben für Infrastruktur erfolgen.
Die Bedeutung der Bahn für die Resilienz und Mobilität wurde eindrücklich durch den Krieg in der Ukraine verdeutlicht, wo Züge als „zweite Armee“ für den Transport von Millionen von Menschen und Flüchtlingen fungierten. Die EU-Kommission hat sich ambitionierte Ziele gesetzt, um den Schienenverkehr zu stärken: Bis 2030 soll sich der Hochgeschwindigkeitsverkehr verdoppeln und bis 2050 verdreifachen. Dies steht im Einklang mit den Klimazielen der EU, die eine Reduktion der CO2-Emissionen im Transportsektor um 90 Prozent bis 2050 vorsehen. Studien zeigen, dass ein Wechsel von Flugzeug und Auto auf die Schiene erhebliche CO2-Einsparungen ermöglicht; so könnten allein durch die Ersetzung der 250 beliebtesten Kurzstreckenflüge in Europa jährlich 23,5 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.
Aktuell sind weltweit über 59.000 Kilometer Bahnstrecken für Geschwindigkeiten von mindestens 250 km/h in Betrieb, weitere sind im Bau oder in Planung. Der Ausbau des europäischen Netzes erfordert jedoch erhebliche zusätzliche Investitionen, die über die derzeit geplanten Maßnahmen hinausgehen. Länder wie Norwegen, Österreich und die Schweiz investieren pro Kopf deutlich mehr in ihre Schieneninfrastruktur als Deutschland, das im europäischen Vergleich im oberen Mittelfeld liegt. Die Realisierung eines solch umfassenden Netzes erfordert nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch politischen Willen und eine koordinierte Anstrengung aller Mitgliedstaaten, um die Vision einer vernetzten und nachhaltigen Mobilität in Europa Wirklichkeit werden zu lassen.