Die politische Landschaft Japans hat sich tiefgreifend gewandelt. Am 19. Oktober 2025 besiegelten die regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) und die oppositionelle Nippon Ishin no Kai (Japanische Innovationspartei) offiziell ihre Koalitionsvereinbarung. Dieser Schritt war eine direkte Konsequenz der enttäuschenden Wahlergebnisse der LDP im Juli, welche den damaligen Premierminister Shigeru Ishiba zum Rücktritt zwangen. Nun steht Sanae Takaichi, eine 64-jährige überzeugte Konservative und treue Anhängerin der politischen Linie des verstorbenen Shinzo Abe, vor einem historischen Moment. Nachdem sie am 4. Oktober 2025 zur LDP-Vorsitzenden gewählt wurde, gilt es als höchstwahrscheinlich, dass sie das Amt der Regierungschefin übernimmt – sie wäre die erste Premierministerin in der Geschichte Japans.
Die Koalition, deren Hauptziel die Stabilisierung der Regierungsführung ist, erforderte erhebliche Kompromisse. Ein zentraler Punkt war die Annäherung an die Reformagenda der Nippon Ishin no Kai, insbesondere die Bewegung hin zur Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Im Gegenzug verpflichtete sich Takaichi, die Wirtschaft durch vermehrte Staatsausgaben und Steuersenkungen anzukurbeln. Mit diesem fiskalischen Impuls, der stark an die Prinzipien der „Abenomics“ erinnert, soll die Belastung durch die steigende Inflation gemildert werden. Ziel ist es, die lang anhaltende Stagnation, die das Land seit 1989 plagt und durch eine schrumpfende erwerbstätige Bevölkerung verschärft wird, endlich zu überwinden.
Die Bildung des neuen Kabinetts ist von Unsicherheiten begleitet und erfordert von der politischen Führung ein hohes Maß an Geschick bei der Harmonisierung der internen Kräfte. Es bestehen Zweifel an der Kohärenz der Regierung, da die Nippon Ishin no Kai zunächst keine eigenen Vertreter für Kabinettsposten benannte. Darüber hinaus könnten Takaichis konservative Ansichten bezüglich der Geschichte und Sicherheitspolitik bei den Nachbarstaaten Besorgnis auslösen. Dies zwingt sie zu besonderer Umsicht und Diplomatie in der Außenpolitik.
Experten betonen, dass trotz Takaichis rechtsgerichteter Neigung und ihrer Forderungen nach einer Überarbeitung der pazifistischen Verfassung sowie einer Stärkung der Streitkräfte zur Abschreckung Chinas und Nordkoreas, die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten das Rückgrat der Außenpolitik bleiben werden. Die symbolische Bedeutung ihres Aufstiegs ist immens: Ihre Wahl markiert möglicherweise einen Wendepunkt nach Jahrzehnten männlicher Dominanz in den höchsten Regierungsebenen. Ihre Entschlossenheit wird oft mit der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher verglichen, und ihre Bereitschaft zu entschlossenen Maßnahmen deutet auf einen Kurs zur Stärkung der nationalen Position Japans hin.
Um die notwendige Mehrheit im Unterhaus des Parlaments zu erreichen, muss die LDP weiterhin um Unterstützung werben. Die Koalition aus LDP und Ishin verfügt derzeit über 231 Sitze, was genau zwei Mandate unter der einfachen Mehrheit liegt. Diese Situation erfordert vom neuen Regierungsoberhaupt nicht nur politisches Geschick, sondern auch die Fähigkeit, stabile und dauerhafte Allianzen mit kleineren Fraktionen zu schmieden. Nur so kann die langfristige Stabilität der Verwaltung gesichert und die angekündigten wirtschaftlichen Reformen erfolgreich umgesetzt werden.