Die Geschwindigkeit des Sonnensystems übersteigt kosmologische Prognosen um das Dreifache, zeigt Studie der Universität Bielefeld

Bearbeitet von: Uliana S.

Am 10. November 2025 veröffentlichte eine Forschungsgruppe der Universität Bielefeld unter der Leitung des Astrophysikers Lukas Böhm Ergebnisse, die das etablierte Standardmodell der Kosmologie fundamental in Frage stellen. Im Fokus der Untersuchung stand die Bewegung unseres Sonnensystems im Verhältnis zur großräumigen Verteilung entfernter, Radio emittierender Galaxien im Universum. Die Analyse stützte sich auf Daten des europäischen Radioteleskopnetzwerks LOFAR sowie zweier zusätzlicher Observatorien. Dabei entdeckten die Wissenschaftler eine Anisotropie – also eine Ungleichmäßigkeit – in der Verteilung dieser Galaxien, deren Intensität sich als 3,7-mal stärker erwies, als es die gegenwärtigen Modelle vorhersagen.

Diese Abweichung erreichte eine statistische Signifikanz, die den Schwellenwert von fünf Sigma überschritt. In der wissenschaftlichen Gemeinschaft gilt dies als ein überzeugender, nahezu unwiderlegbarer Beweis. Methodisch zentral war die Analyse des sogenannten „Gegenwindes“, der durch die Bewegung des Sonnensystems entsteht. Radiogalaxien, die starke Radiowellen aussenden, dienen als ideale Marker, um großräumige Bewegungen zu messen. Dies liegt daran, dass Radiowellen dichte Gas- und Staubwolken durchdringen können, welche sichtbares Licht blockieren würden. Die Logik ist einfach: Je höher die Geschwindigkeit des Systems, desto mehr Radiogalaxien sollten in Bewegungsrichtung beobachtet werden und desto weniger in der entgegengesetzten Richtung.

Kosmologe Dominik J. Schwarz, der ebenfalls an der Arbeit beteiligt war, betonte, dass bei einer derart signifikanten Bewegung die grundlegenden Annahmen über die Homogenität und Isotropie der Materie im Kosmos kritisch hinterfragt werden müssen. Die ermittelten Daten legen nahe, dass die Geschwindigkeit der Sonnenbewegung mehr als dreimal so hoch ist wie der Wert, der im allgemein akzeptierten ΛCDM-Modell postuliert wird. Dieses Modell geht von einer Geschwindigkeit von lediglich etwa 370 km/s aus. Interessanterweise deckt sich diese erhebliche Diskrepanz mit früheren, wenn auch weniger direkten, Beobachtungen, die auf Infrarotdaten von Quasaren basierten.

Das Standardmodell der Kosmologie, das auf Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie beruht und Dunkle Energie sowie Kalte Dunkle Materie einschließt, hat viele Phänomene erfolgreich erklärt. Anomalien in der Materieverteilung, wie die nun festgestellte, weisen jedoch auf potenzielle Lücken hin. Die entdeckte Intensität des Dipols, die eine 3,7-fache Überschreitung der Prognose darstellt, ist ein substanzieller Faktor, der eine Erklärung innerhalb der bestehenden Physik erfordert. Geht man davon aus, dass Radiogalaxien gleichmäßig verteilt sind, müsste der beobachtbare Effekt minimal sein. Sollten die neuen Daten jedoch korrekt sein, könnte dies bedeuten, dass die großräumige Materieverteilung im Universum nicht so homogen ist, wie es die aktuellen kosmologischen Vorstellungen annehmen.

Die in den Physical Review Letters veröffentlichte Studie der Universität Bielefeld unterstreicht die immense Bedeutung der Nutzung des Radiobereichs zur Messung großräumiger Bewegungen. Im Kontext des dominierenden ΛCDM-Modells erfordert jede signifikante Abweichung, die auf dem Fünf-Sigma-Niveau bestätigt wird, höchste Aufmerksamkeit. Letztendlich eröffnet diese Entdeckung ein neues Kapitel bei der Überprüfung unseres Verständnisses der kosmischen Struktur und Dynamik. Dies zwingt die Wissenschaft entweder dazu, die Parameter des ΛCDM-Modells präziser anzupassen, oder die Entwicklung einer neuen, umfassenderen Theorie in Betracht zu ziehen, um die beobachteten Phänomene vollständig zu erklären.

Quellen

  • www.nationalgeographic.com.es

  • EurekAlert!

Haben Sie einen Fehler oder eine Ungenauigkeit festgestellt?

Wir werden Ihre Kommentare so schnell wie möglich berücksichtigen.