Auf der südkoreanischen Insel Jindo ereignet sich zweimal im Jahr ein bemerkenswertes Naturphänomen, das als "Jindo-Wunder" bekannt ist. Rund um die Frühjahrs- und Herbsttagundnachtgleiche zieht sich das Meer zurück und gibt einen etwa 2,8 Kilometer langen und 40 bis 60 Meter breiten Sandweg frei, der die Hauptinsel Jindo mit der kleineren Insel Modo verbindet. Dieses Schauspiel, das nur etwa eine Stunde andauert, ermöglicht es Tausenden von Besuchern, zu Fuß zwischen den Inseln zu wandern.
Dieses Naturwunder, das oft als "Koreas Moses-Wunder" bezeichnet wird, erlangte 1975 weltweite Aufmerksamkeit, als der damalige französische Botschafter in Südkorea, Pierre Landy, es mit der biblischen Teilung des Roten Meeres verglich. Wissenschaftlich gesehen beruht das Phänomen auf extremen Niedrigwasserständen, die durch eine Kombination aus dem Mondzyklus, der geografischen Lage und den Meeresströmungen verursacht werden. Geowissenschaftler erklären es als eine Synchronisation mehrerer harmonischer Faktoren, die zu außergewöhnlich niedrigen Gezeiten führen und diesen Pfad freilegen.
Die Ursprünge des Ereignisses sind tief in einer lokalen Legende verwurzelt. Die Geschichte erzählt von einer alten Frau namens Byong, die von einem Tiger von Jindo nach Modo fliehen musste und zurückgelassen wurde. Sie betete tagelang zu Yongwang, dem Meeresgott, der ihr im Traum erschien und versprach, ihr einen Regenbogen über das Meer zu schicken. Als sie erwachte, hatte sich das Wasser zurückgezogen und ein regenbogenförmiger Pfad war erschienen, der ihr die Wiedervereinigung mit ihrer Familie ermöglichte.
Diese Legende wird jährlich mit dem Jindo Sea Path Miracle Festival gefeiert, das traditionelle Darbietungen und kulturelle Aktivitäten umfasst und Hunderttausende von Besuchern anzieht. Das Festival findet typischerweise im Frühling statt; die Veranstaltung im Jahr 2025 fand vom 29. März bis zum 1. April statt. Während des Festivals können Besucher entlang des Meerespfades spazieren gehen und Meeresfrüchte wie Abalonen und Kraken sammeln. Das Phänomen zieht nicht nur wegen seiner natürlichen Pracht, sondern auch wegen seiner kulturellen Bedeutung Besucher aus aller Welt an.
Die Insel Jindo bietet neben diesem Spektakel weitere Attraktionen, darunter Museen, die sich der einheimischen Hunderasse, dem Jindo-Hund, widmen, sowie malerische Küstenstraßen. Die Veranstaltung ist ein Beweis für die tiefe Verbindung der Menschen mit der Natur und den Geschichten, die über Generationen weitergegeben werden, und bietet eine einzigartige Gelegenheit, die kulturelle Vielfalt Südkoreas zu erleben.