Der Tanz der Silikonöltröpfchen: Wie eine 1,6-Millimeter-Kugel die Oberflächenspannung herausfordert
Bearbeitet von: Vera Mo
Forschende der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) haben in der Forschungsgruppe für Ingenieurmechanik weicher Grenzflächen (Laboratoire de mécanique des interfaces souples) einen bedeutenden Fortschritt in der Dynamik von Flüssigkeiten erzielt. Sie konnten experimentell nachweisen, dass ein winziges Tröpfchen aus Silikonöl mit einem Durchmesser von exakt 1,6 Millimetern in der Lage ist, über einen Zeitraum von mindestens fünf Minuten – möglicherweise sogar noch länger – kontinuierlich von einer vibrierenden festen Oberfläche abzuprallen. Dieser bemerkenswerte Versuch, der unter normalen Raumbedingungen durchgeführt wurde, erweitert unser bisheriges Verständnis der komplexen Wechselwirkungen zwischen flüssigen und festen Materialien erheblich.
Der entscheidende Unterschied dieses Experiments zu früheren Beobachtungen, bei denen ein anhaltendes Abprallen typischerweise eine vibrierende flüssige Wanne erforderte, liegt in der Verwendung einer festen Unterlage. Die Wissenschaftler setzten eine Platte aus atomar glattem Glimmer (Mica) als Stützfläche ein. Das Verhalten des Tröpfchens – sei es ein rhythmischer Sprung, der an einen Basketball erinnert, oder ein schnelles Gleiten auf einem Luftkissen – ließ sich vollständig durch die präzise Einstellung der Frequenz und Amplitude der Vibration steuern. Das Forschungsteam entwickelte zur wissenschaftlichen Untermauerung ihrer Entdeckung ein gekoppeltes lineares Federmodell. Dieses Modell ist in der Lage, die Abpralltrajektorien exakt vorherzusagen, indem es die Verformung des Tröpfchens selbst berücksichtigt. Die Ergebnisse dieser tiefgreifenden Untersuchung wurden in der renommierten Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ veröffentlicht.
Dieses Phänomen stellt ein kinetisches Analogon zum bekannten Leidenfrost-Effekt dar. Beim klassischen Leidenfrost-Effekt bildet Dampf ein isolierendes Kissen unter einem Tropfen auf einer heißen Oberfläche. Im vorliegenden Fall jedoch stabilisieren kinetische Kräfte, die durch die Vibration der festen Substratoberfläche erzeugt werden, das makroskopische Phänomen über eine erstaunlich lange Dauer. Die Forschenden beobachteten in einem spezifischen Szenario, dass bei Anregung des zweiten sphärischen harmonischen Modus das Tröpfchen in einen sogenannten „gebundenen Zustand“ übergeht. In diesem Zustand wird seine Bewegung über einer dünnen Luftschicht fixiert und stabilisiert. Dies unterstreicht die zentrale Rolle der inneren Struktur und der Fähigkeit der Flüssigkeit zur Selbstverformung als Schlüsselfaktoren für die Aufrechterhaltung dieses kontrollierten „Tanzes“.
Der praktische Nutzen dieser Entdeckung ist nicht zu unterschätzen, insbesondere für Industriezweige, die höchste Präzision erfordern, wie beispielsweise die pharmazeutische Industrie. Die neu gewonnene Fähigkeit, winzige Flüssigkeitsmengen in einer Luftumgebung zu manipulieren, ohne das Risiko einer Kontamination oder Verdunstung einzugehen, eröffnet völlig neue Wege für die Entwicklung von Technologien zur Mikro-Dosierung. Um die Anwendbarkeit zu demonstrieren, gelang es den EPFL-Forschern bereits, die seitliche Bewegung des Tröpfchens aktiv zu steuern. Dies erreichten sie mithilfe von „Pinzetten“ aus winzigen, komprimierten Luftstrahlen, was die Möglichkeit einer aktiven Lenkung dieser mikroskopischen Prozesse eindrucksvoll belegt.
Quellen
Mirage News
The tiny droplets that bounce without bursting
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