Seltenes Unterwasser-Video einer Buckelwal-Mutter, die ihr Neugeborenes säugt.
Die Stimmen der Ozean-Babys: Kommunikation und Ernährung von Walen
Autor: Inna Horoshkina One
Tief unter der schimmernden Oberfläche des Pazifischen Ozeans, dort, wo das Sonnenlicht in Türkis verblasst und in das Indigo der Tiefe übergeht, vollzieht sich ein stilles Ballett: eine Buckelwalmutter und ihr neugeborenes Kalb. In dieser scheinbar leeren Weite sind sie zu zweit – und ihre Verbindung bildet das kleine, warme Herz des Ozeans.
Buckelwal-Mutter und ihr Kalb
Das Walbaby hält sich dicht an der Mutter, fast als würde es von einer unsichtbaren Schnur gehalten. Jede Bewegung der Mutter ist eine Lektion: wie man zum Luftholen auftaucht, wie man in die Tiefe gleitet, wie man die kaum wahrnehmbaren Signale der Unterwasserwelt entschlüsselt. Doch das Erstaunlichste geschieht in einem Moment, den kaum jemand zu Gesicht bekommt.
Bei den meisten Säugetieren ist das Stillen ein Vorgang an Land. Bei Walen ist die gesamte Prozedur jedoch vollständig unter Wasser verborgen. Die Mutter setzt ihre kräftigen Muskeln ein und stößt einen dicken Strahl Milch aus.
Diese Milch ist ein Konzentrat des Lebens: Sie enthält bis zu 40–50% Fett, besitzt eine pastöse Konsistenz und löst sich nicht sofort im Meerwasser auf. Stattdessen bildet sie eine dichte, nahrhafte Wolke um die Mutter. Das Kalb schwimmt in diesen weißlichen Strom hinein und „frisst sozusagen im Vorbeifahren“, ohne einen Tropfen in der Wassersäule zu verlieren und ohne sich von ihrem Körper lösen zu müssen.
Dank dieser meisterhaften Fürsorge kann der Nachwuchs täglich um mehrere zehn Kilogramm zulegen. Die Mutter selbst nimmt in dieser Zeit kaum Nahrung zu sich; sie lebt von den Fettreserven, die sie während früherer Wanderungen angelegt hat. Ihr ganzer Körper wird zu einem lebenden Reservoir an Wärme und Energie, das sie vollständig einem einzigen Wesen widmet.
Babys, die nicht schweigen
Lange Zeit glaubten Wissenschaftler, dass in diesem Unterwasser-Schauspiel hauptsächlich die Erwachsenen „sprechen“ – die mächtigen Gesänge der Bullen, die Rufe der Mütter, das Wechselspiel der Schulen. Die Kleinen schienen fast geräuschlos zu sein.
Untersuchungen aus den Jahren 2024 und 2025 haben dieses Bild jedoch grundlegend verändert. Mithilfe von akustischen Markern – kleinen „Black Boxes“, die am Körper der Wale befestigt werden – konnten Biologen erstmals die Stimmen der Erwachsenen präzise von denen der Jungtiere trennen. Es stellte sich heraus:
Bereits in den Futtergebieten melden sich die Kälber laut und häufig zu Wort;
Hinsichtlich der Signalarten holen sie fast zu den Erwachsenen auf, auch wenn die Frequenz der Nutzung noch anders verteilt ist;
In ihren Lautäußerungen findet sich ein besonderes „Murmeln“ – unvollständig geformte Elemente, die stark an das Babbling menschlicher Säuglinge erinnern.
Mit anderen Worten: Die Kindheit des Ozeans besitzt eine eigene Sprache. Zuerst sind es weiche, unperfekte Laute, erste Versuche, der Welt und der Mutter etwas mitzuteilen. Darauf folgen immer erkennbarere Signale: „Ich bin hier“, „Warte auf mich“, „Mir geht es gut“, „Ich rufe“.
Eine andere Studie belegte, dass mit etwa einem Jahr die Stimme des Kalbes tiefer und länger wird und die Tauchgänge sicherer und ausgedehnter gestalten. Das erste Lebensjahr ist somit nicht nur eine Phase rasanten körperlichen Wachstums, sondern auch die Ausbildung einer akustischen Persönlichkeit: Das Junge lernt, selbstständig zu klingen, bleibt aber eng mit der Stimme der Mutter und dem Puls des Ozeans verbunden.
Emotionen auf Frequenzen, nicht in Worten
Als Forscher die Tonaufnahmen mit Video- und Verhaltensdaten abglichen, wurde klar: Die Jungtiere stoßen unterschiedliche Signalarten in verschiedenen Zuständen aus.
Einige Laute werden geäußert, wenn sie die Mutter suchen oder um Nahrung bitten;
Andere dienen der Kommunikation in Ruhephasen und beim gemeinsamen Ausruhen;
Wieder andere ertönen, wenn sie beunruhigt sind oder rufen.
Dies ist kein bloßes Rauschen. Es ist eine emotionale Sprache, in der Frequenzen, Dauer, Timbre und Rhythmus anstelle von Wörtern treten. Im Grunde sind dies die „Milchbitten“, die ersten Gespräche mit der Mutter und dem Ozean.
Vor diesem Hintergrund wird unsere menschliche Metapher vom „singenden Ozean“ nicht nur poetisch, sondern auch buchstäblich wahr: Unter Wasser findet tatsächlich ein Dialog statt.
Für die Wissenschaft stellen diese Arbeiten einen wichtigen Schritt dar, um zu verstehen, wie sich die Stimme und Sprache bei diesen Meeressäugern entwickeln und wie die Mutter-Kind-Bindung in einem Medium geformt wird, in dem der Klang alles entscheidet.
Vielleicht lehrt uns der Ozean dabei etwas Ähnliches: Zuhören, was die Absicht hinter dem Klang ist, nicht nur den Sinn, nicht den Text, sondern die Schwingung der Fürsorge.
Für uns ergeben sich daraus einige einfache, aber gewichtige Erkenntnisse:
Der Ozean hört auf, bloßer Hintergrund zu sein. Hinter dem Begriff „Wale“ verbergen sich konkrete Wachstumsgeschichten: Milchwolken, nächtliches Füttern, das kindliche Murmeln in der Tiefe.
Die Klangökologie wird von einer abstrakten Thematik zu einer Frage der Fürsorge für die Kinderstimmen des Ozeans. Schiffsgeräusche, seismische Untersuchungen, Militärübungen – all dies dringt nicht nur in den Raum der erwachsenen Gesänge ein, sondern auch in den feinen, fragilen Prozess, in dem die Kleinen das Sprechen lernen.
Die Parallele zum Menschen ist zu offensichtlich, um sie zu ignorieren. So wie unsere Kinder den Weg von ersten, unsicheren Lauten zu einer gefestigten Stimme gehen, benötigen auch sie ein sicheres „Klang-Zuhause“.
Was bringen diese Entdeckungen für das Klangbild unseres Planeten?
Die Erde ist kein Konglomerat von Arten, sondern ein vielstimmiger Chor der Generationen, in dem Kinderstimmen ebenso wichtig sind wie die uralten.
Es gibt die uralten Stimmen alter Wälder und alter Wale. Es gibt die reifen, kraftvollen „Worte“ der Zivilisation. Und es gibt die leisen, noch ungeformten Stimmen jener, die gerade erst lernen zu leben – im Meer, in der Luft, an Land.
Den Ozean für die Wale zu bewahren, bedeutet, den Raum zu sichern, in dem sich Kinderstimmen gefahrlos entwickeln und Teil des gesamten großen Klangbildes unseres Planeten werden können.
Dabei klingt der Gedanke von Johann Sebastian Bach hier besonders einfach und treffend: „Das Ziel der Musik ist es, die Herzen zu bewegen.“
Die Stimmen der kleinen Buckelwale sind Musik, die wir mit Geräten und Begriffen gerade erst zu erfassen beginnen. Aber sie bewegen bereits Herzen – und das gibt uns die Grundlage, den nächsten Schritt zu tun: uns so zu verhalten, als wäre der Klang des Ozeans nicht nur ein fremdes Geräusch am Horizont, sondern Teil unserer gemeinsamen musikalischen Partitur.
Dann wird die Sorge um die Ozeane von abstrakter „Ökologie“ zu dem, was sie für den Planeten schon immer war: die Sorge dafür, dass diese Erde weiterhin mit den Stimmen der Kindheit klingt – frei, fröhlich und harmonisch.
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