Neue wissenschaftliche Erkenntnisse stellen die traditionelle Annahme in Frage, dass Hunde sich passiv durch die Annäherung an menschliche Siedlungen zu domestizierten Tieren entwickelten. Stattdessen deuten archäologische und genetische Funde darauf hin, dass die Domestikation von Hunden ein aktiv von Menschen gesteuerter Prozess war, der bereits vor über 36.000 Jahren begann und somit der landwirtschaftlichen Revolution vorausging.
Frühe Fossilienfunde aus Eurasien, die bis zu 35.500 Jahre alt sind, zeigen deutliche morphologische Unterschiede zu Wölfen. Diese frühen Caniden waren leichter, besaßen kürzere Schnauzen, breitere Gaumen und kleinere Eckzähne, was auf eine frühe Domestikation hindeutet. Genetische Analysen unterstützen die Theorie einer menschlich gesteuerten Domestikation, mit Ursprüngen in Südwest- und Ostasien. Die Erkenntnis, dass Hunde bereits vor über 36.000 Jahren existierten, belegt, dass dieser Prozess vor der landwirtschaftlichen Revolution stattfand. Die Annahme, dass paläolithische Jäger und Sammler genügend Abfälle produzierten, um die Selbst-Domestikation zu ermöglichen, wird durch die Tatsache widerlegt, dass diese frühen Menschen ihre Ressourcen effizient nutzten und Abfälle oft vor Aasfressern schützten. Die natürliche Gefährlichkeit von Wölfen für menschliche Gemeinschaften stellt ebenfalls ein Hindernis für die Selbst-Domestikation dar. Forscher wie der Archäologe Loukas Koungoulos betonen die "tiefgreifenden und beständigen Hindernisse für die Selbst-Domestikation", die sowohl aus dem angeborenen Verhalten von Wölfen als auch aus der Einstellung traditioneller Gesellschaften gegenüber Wölfen resultieren.
Der Ansatz der "menschlichen Initiative" gewinnt daher an Bedeutung. Dieser besagt, dass frühe Menschen aktiv Wolfswelpen aufzogen und gezielt jene mit sanfteren Wesenszügen zur Zucht auswählten. Evolutionsbiologe Raymond Pierotti hebt die entscheidende Rolle der frühen Sozialisierung hervor: "Wenn Menschen bereit sind, die nötige Mühe zu investieren, können sie praktisch jede Art von Caniden als Begleiter halten." Archäologische Funde, wie die eines Hundes, der vor 16.000 Jahren im jordanischen 'Uyun al-Hammam neben Menschen bestattet wurde, belegen tiefe Bindungen. Archäozoologin Mietje Germonpré merkt an, dass diese paläolithischen Hunde häufig in menschlichen Siedlungen gefunden werden, was auf eine partnerschaftliche Beziehung hindeutet. Die Praxis, wilde Welpen als Haustiere aufzunehmen, ist in verschiedenen indigenen Kulturen dokumentiert. Über den reinen Nutzen hinaus hatten Wölfe für paläolithische Gesellschaften auch symbolische und rituelle Bedeutung, wie Funde von Wolfszähnen als Schmuck und durchbohrten Schädeln zeigen. Die wertvollen Wolfsfelle waren wahrscheinlich überlebenswichtig während der harten Bedingungen des Letzten Glazialmaximums (ca. 26.000 bis 19.000 Jahre vor heute). Moderne Analogien wie der australische Dingo, der von Aborigines aufgezogen wurde, aber nicht vollständig domestiziert ist, bieten Einblicke in ähnliche Dynamiken bei frühen Wölfen, die zur Entstehung der ersten Hunde führten. Der Konsens verschiebt sich somit weg von der Selbst-Domestikation hin zu einer aktiven menschlichen Lenkung des Domestikationsprozesses.
Obwohl die genaue Zeit und der Ort der Hundedomestikation weiterhin Gegenstand intensiver Forschung sind, plädieren Experten wie Germonpré für weitere Studien an alter DNA. Koungoulos hebt den schwindenden Einfluss des traditionellen Modells hervor, während Pierotti zu einer komplexeren und kritischeren Betrachtung der Hundeursprünge mahnt. Die ältesten unumstrittenen Hundeüberreste wurden in Europa und Sibirien gefunden und sind über 30.000 Jahre alt, mit Hinweisen auf einen sibirischen Ursprung vor etwa 23.000 Jahren.